Gerd Althoff (Hg.)

Zeichen – Rituale – Werte

Internationales Kolloquium des Sonderforschungsbereichs 496 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster
(unter Mitarbeit von Christiane Witthöft)

Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme –
Schriftenreihe des Sonderforschungsbereichs 496
Band 3

2004, 598 Seiten, 20 Beiträge, 99 Abbildungen, Harteinband
2004, 598 pages, 20 essays, 99 figures, hardcover

ISBN 978-3-930454-45-7
Preis/price EUR 92,–

17 × 24cm (B×H), 1570g

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Zum Inhalt:

Das Thema dieses Bandes ist der Zusammenhang zwischen dem Phänomen der symbolischen Kommunikation und den gesellschaftlichen Wertesystemen in der Epoche der Vormoderne vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution. Ausgehend von der Beobachtung, dass in der Vormoderne der Kommunikation durch demonstrativ-rituelles Handeln (Ritual, Zeremoniell) ein hoher Stellenwert zukam, richtet sich das Interesse auf die Frage, wie in diesem Handeln herrschende Wertevorstellungen zum Ausdruck kamen, wie sich Wertewandel niederschlug, welche Leistung symbolische Kommunikation bei der Etablierung und Stabilisierung, aber auch der Veränderung von Ordnungen und Wertesystemen erbrachte. Mittels zeichenhafter Handlungen kommunizierte die Gesellschaft der europäischen Vormoderne über ihre Bindungen und Verpflichtungen, akzeptierte Rechte und Pflichten. Durch den vielfältigen Nachweis der Planung und einer je spezifischen Konzeption solcher Akte wird unabweisbar, wie bewusst und reflektiert sich Menschen der Vormoderne dieser Kommunikationsarten bedienten, wie rational sie sich die Stabilisierungsleistungen dieser Kommunikation zu Nutze machten, wie subtil sie überdies die Deutung der Zeichen bis hin zur ironischen Verfremdung beherrschten. Es tritt mit anderen Worten eine Reflektiertheit und Rationalität bei der Verwendung symbolischer Handlungen vor Augen, die in der Konsequenz die berühmte Dichotomie Verzauberung – Entzauberung als Charakteristik der Epochendifferenzen zwischen Vormoderne und Moderne problematisiert; eine Differenz, die nicht zuletzt auch aus der vorgeblich geheimnisvollen Welt der Rituale generiert wurde. Akte symbolischer Kommunikation in der europäischen Vormoderne waren bereits entzaubert in dem Sinne, dass mit ihnen sehr bewusst Forderungen und Ansprüche zur Geltung gebracht wurden, die existentiell wichtig waren.

Auf Grund dieser Eigenarten erweist sich symbolische Kommunikation als zentrales Ausdrucksmittel für Wertevorstellungen aller Art. Ob christliche Demut oder Rangbewusstsein, ob Freundschaft oder Feindschaft, Dienst oder Herrschaft, all diese Abstrakta wurden in symbolische Handlungen und in Artefakte unterschiedlichster Art umgesetzt, Gedanken wurden in kommunikative Praxis überführt. Diese kommunikative Praxis ändert sich und muss sich ändern, wenn sich die Wertevorstellungen wandeln. Insofern hängt die Geschichte symbolischer Handlungen eng mit den Veränderungen der Werte zusammen.

Die Beiträge dieses Bandes gingen aus einer Tagung hervor, mit der sich der Sonderforschungsbereich 496 ›Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution‹ der wissenschaftlichen Öffentlichkeit vorstellte. Die Eröffnung dieses Dialogs ist auf dem Kolloquium gelungen, und er setzt sich in den Beiträgen dieses Bandes vielfach fort.


Die Autoren und ihre Beiträge:

Gerd Althoff:
Zeichen – Rituale – Werte –
Eine Einleitung

Karl-Siegbert Rehberg:
Präsenzmagie und Zeichenhaftigkeit –
Institutionelle Formen der Symbolisierung

Christoph Halbig:
Ethische und ästhetische Werte –
Überlegungen zu ihrem Verhältnis

Jill Kraye:
Pagan Virtue in Pursuit of Christian Happiness –
Renaissance Humanists and the Revival of Classical Ethics

Arnold Angenendt:
Das Offertorium –
In liturgischer Praxis und symbolischer Kommunikation

Philippe Buc:
Noch einmal 918–919 –
Of the ritualized demise of kings and of political rituals in general

Hermann Kamp:
Tugend, Macht und Ritual –
Politisches Verhalten beim Saxo Grammaticus

Hagen Keller/Christoph Dartmann:
Inszenierungen von Ordnung und Konsens –
Privileg und Statutenbuch in der symbolischen Kommunikation mittelalterlicher Rechtsgemeinschaften

Michail A. Bojcov:
Symbolische Mimesis – nicht nur im Mittelalter

Klaus Schreiner:
Signa Victricia –
Heilige Zeichen in kriegerischen Konflikten des Mittelalters

Horst Wenzel:
Repräsentation und Kinästhetik –
Zur Inszenierung höfisch-ritterlicher Imagination im ›Welschen Gast‹ des Thomasins von Zerclaere

Christel Meier:
Prügel und Performanz –
Ästhetik und Funktion der Gewalt im Theater des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit

Volker Honemann:
Das Schachspiel in der deutschen Literatur des Mittelalters –
Zur Funktion des Schachmotivs und der Schachmetaphorik

Sybille Ebert-Schifferer:
Virtus romana als Stilfrage in einem römischen Freskenzyklus der Renaissance

Joachim Poeschke:
Virtù Fiorentina –
Cosimo de' Medici als erster Bürger von Florenz

Gosbert Schüßler:
›Die Tugend auf dem Felsenberg‹ –
Eine Komposition Pinturicchios für das Paviment des Domes von Siena

Barbara Stollberg-Rilinger:
Knien vor Gott – Knien vor dem Kaiser –
Zum Ritualwandel im Konfessionskonflikt

Stefan Haas:
Die kommunikative und performative Generierung von Sinn in Initiationsritualen der Frühen Neuzeit am Beispiel der Eheschließungen

Johannes Paulmann:
›Popularität‹ und ›Propaganda‹ –
Vom Überleben symbolischer Kommunikationsformen in der europäischen Politik des frühen 19. Jahrhunderts

Hans-Ulrich Thamer:
Die Wiederkehr des Gleichen oder das Verblassen der Tradition? –
Funktionswandel politischer Rituale im Übergang zur Moderne


Näheres zu den Beiträgen (Auswahl):

Christoph Halbig:
Ethische und ästhetische Werte –
Überlegungen zu ihrem Verhältnis

Die Frage nach dem Verhältnis von ethischen und ästhetischen Werten kann auf eine ebenso lange wie spannungsreiche Tradition zurückblicken: Handelt es sich beim Schönen lediglich um den Schein des Guten oder um eine autonome Wertsphäre, die es gerade von moralischen Kriterien freizuhalten gilt? Im ersten Teil des vorliegenden Beitrags werden einige Stationen dieser Tradition mit Blick auf die spezifischen Schwierigkeiten in Erinnerung gerufen, die sich einer Klärung des Verhältnisses beider Wertarten in den Weg stellen. Gegenstand des zweiten Teils ist der ontologische Status ästhetischer bzw. ethischer Werte. Für beide Wertarten wird eine realistische Deutung vertreten, die anhand des Problems der Objektivität beider Wertarten präzisiert wird. Der dritte Teil schließlich geht auf der Grundlage der erreichten Ergebnisse der Frage nach, inwiefern moralische Gesichtspunkte für die Einschätzung ästhetischen Wertes relevant sein können – wird ein Kunstwerk (z.B. eine Ode auf Stalin), das eine moralisch verwerfliche Botschaft vertritt, dadurch ipso facto auch in seinem ästhetischen Wert beeinträchtigt?

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Jill Kraye:
Pagan Virtue in Pursuit of Christian Happiness –
Renaissance Humanists and the Revival of Classical Ethics

The question of whether pagan virtue had a role to play in the pursuit of Christian happiness was intensively discussed throughout the patristic era. Medieval thinkers also confronted this problem and worked out new solutions, which lasted well beyond the Middle Ages. During the Renaissance, however, the renewed vigour with which classical antiquity was studied brought the issue very much to the fore, as humanists sought to reconcile their admiration for the ethical wisdom of the ancients with their religious faith in the superior morality of Christianity. This paper examines some of the different ways in which Renaissance thinkers resolved this dilemma. In some cases, solutions which had been around for centuries were simply recycled and adapted to changing circumstances. In others, novel perspectives emerged. Although the answers which these humanists came up with were often different from, and even opposed to, each other, they shared a conviction that this was a question of crucial importance which moral philosophers could not afford to ignore.

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Arnold Angenendt:
Das Offertorium –
In liturgischer Praxis und symbolischer Kommunikation

Gabe und Gegengabe ist dank Marcel Mauss auch ein Thema der Mediävistik geworden. In diesem Rahmen sind eine Reihe nordamerikanischer Forscher, aber auch der Niederländer Arnoud-Jan Bijsterveld zu nennen. Im vorliegenden Beitrag werden Gabe und Gegengabe in der Liturgie untersucht. Eigentlich wollte das Christentum wesentlich das ›geistige Opfer‹, die ›thysia logike‹. Zudem waren obligat Gaben für die Armen. Zum Mittelalter hin wird der Opfergang der Messe nach ›Gabe und Gegengabe‹ gedeutet und entsprechend ausgebaut. Die Fälle der Anwendungen und Ausdeutungen sind immens – davon will der vorliegende Beitrag einen ersten Eindruck vermitteln.

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Philippe Buc:
Noch einmal 918–919 –
Of the ritualized demise of kings and of political rituals in general

Revisiting the 919 accession of King Henry I, object of an important methodological debate between Johannes Fried and Gerd Althoff, this paper argues that the information provided by Adalbert, Widukind, and Liudprand participate, partly, of the genre of the Panegyric. Pace Fried, it seems that their tales should be anchored firmly in a learned, written culture. Pace Althoff, it seems that their tales could depart vastly from fact. The relation to truth characteristic of that literary genre explains how these medieval authors could produce fictions for audiences that often included actors in the fictionalized events. The paper also examines the literary genre of the death of kings, and the role of tears, so present in 919, and of mournings in these narratives.

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Hermann Kamp:
Tugend, Macht und Ritual –
Politisches Verhalten beim Saxo Grammaticus

Ausgehend von seinem Bericht über das Treffen zwischen Friedrich I. und dem dänischen König Waldemar I. im Jahre 1181, untersucht der Beitrag die Bedeutung, die den rituellen Akten im Werk des Geschichtsschreibers Saxo Grammticus zukommt. Dabei zeigt sich recht schnell, dass die Beschreibung von Ritualen bei Saxo zunächst dazu dienten, den Tugenden der Protagonisten und deren konkreten Absichten ein wirklichkeitsnahes Aussehen zu verleihen und die Frage nach der Wirklichkeit durch die Frage zu ersetzen, ob das Geschilderte dem Charakter der handelnden Personen entsprach. Der zweite Teil der Untersuchung widmet sich der nur punktuellen Aufmerksamkeit, die Saxo den Ritualen zukommen ließ. Denn er erwähnte Rituale und Gesten nur da ausführlicher, wo sie sein Idealbild vom dänischen Königtum untermauern konnten. Einfach übergangen wurden Rituale, die etwa eine dauerhafte Unterordnung Dänemarks gegenüber dem Kaiser hätten andeuten können. Da Saxo mehrmals von Ritualen spricht, die nur zum Schein vorgenommen worden seien, werden diese Äußerungen im letzten Teil auf ihren ritualkritischen Gehalt hin befragt. Doch von einer Relativierung der Bedeutung von Ritualen kann keine Rede sein. Die Äußerungen spiegeln nur die Erfahrung wider, dass man Rituale mit betrügerischem Hintergedanken vollziehen konnte, und sind auch als Reflex einer platonistischen Weltsicht zu verstehen, die allenthalben den Unterschied zwischen Sein und Schein betont. Dennoch scheint die Rede vom Schein der Rituale auch mit dem Umstand in Verbindung zu stehen, dass die Verpflichtungen und Rechte, die sich mit rituellen Akten verbanden, seit dem hohen Mittelalter an Komplexität gewannen, in Verträgen immer detaillierter geregelt wurden und sie so für die Beteiligten zusehends wichtiger erschienen als das Ritual, das die in Kraft setzte.

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Hagen Keller/Christoph Dartmann:
Inszenierungen von Ordnung und Konsens –
Privileg und Statutenbuch in der symbolischen Kommunikation mittelalterlicher Rechtsgemeinschaften

Für die Konstituierung und den Bestand mittelalterlicher Rechtsgemeinschaften und Herrschaftsverbände besaßen Akte symbolischer Kommunikation eine kaum zu unterschätzende Bedeutung. Auch die Funktion zentraler Schriftstücke und ihres Inhalts kann oft nur aus ihrer Verwendung in ritueller Interaktion verstanden werden, was die stark textorientierte Mediävistik lange Zeit kaum in den Blick genommen hat. An den Beispielen des Privilegs in hochmittelalterlichen Herrschaftsverbänden und des Statutencodex in den italienischen Stadtkommunen demonstriert der Beitrag, daß sowohl in schriftarmen als auch geradezu schriftbesessenen Milieus für die politischen Verbände fundierende Texte in feierlichen Inszenierungen entstanden, in Kraft gesetzt oder in ihrer Geltung bestätigt wurden. Am Beispiel früh- und hochmittelalterlicher Herrscherdiplome zeigt Hagen Keller auf, welche Handlungsketten sich hinter der schlichten Urkunde über eine Besitzrestitution verbergen können und welchen Informationsverlust es bedeutet, wenn lediglich der Urkundentext vorliegt. Christoph Dartmann belegt die Bedeutung des performativen in Kraft Setzens des Gesetzbuches der italienischen Stadtkommunen, das trotz der scheinbaren Modernität ihres Rechtswesens nur durch feierliche Eide Geltung beanspruchen konnte. Insgesamt belegen die Beispiele, daß erst das Ineinander von Ritual und Dokument verstehen läßt, wie mittelalterliche Herrschafts- und Rechtsverbände mit Hilfe schriftlicher Aufzeichnungen Ordnung und Konsens begründeten und aufrecht erhielten.

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Michail A. Bojcov:
Symbolische Mimesis – nicht nur im Mittelalter

Im Bereich der Machtsymbolik scheint es vielversprechend zu sein, nicht einzelne Kulturen oder politische Gebilde separat von einander zu analysieren, sondern ihre ›Gemeinsamkeiten‹ in Betracht zu ziehen, und zwar als Systeme, deren Architektur von der Interaktion zwischen einem ›symbolproduzierenden Zentrum‹ und verschiedenen ›symbolrezipierenden Peripherien‹ bestimmt ist. Um die Topographie dieser Komplexe zu begreifen, muss man vor allem die dominierenden Vektoren der Entlehnungen im Bereich des Symbolischen ermitteln. Die Abhängigkeit der Peripherien vom Zentrum in der statusbringenden Symbolik hängt allerdings nicht unbedingt mit politischer oder wirtschaftlicher Abhängigkeit zusammen und setzt auch keine Bündnisverhältnisse zwischen beiden Seiten voraus.

Die gesamte poströmische Mittelmeerwelt (mit ihrer allmählichen Ausweitung in den Norden Europas) stellte im Bereich der Machtsymbolik etwa bis ins 12. Jh. einen gemeinsamen und verhältnismäßig einheitlichen ›symbolischen Raum‹ dar, wobei die Formen der Machtrepräsentation in verschiedenen (sowohl christlichen als auch muslimischen) Peripherien sich nach solchen Mustern orientierten, welche letztendlich zum kaiserlichen Hof zu Konstantinopel zurückverfolgt werden können. Die Hauptursache, warum Konstantinopel als ökumenischer Musterproduzent der politischen Symbolik funktionierte, liegt nicht nur in seiner technischen Überlegenheit in vielen ›repräsentativen Künsten‹ begründet, sondern vor allem auch in der unumstrittenen Legitimierung durch die römisch-kaiserliche Traditionen. Im lateinischen Westen wurden die byzantinischen symbolischen Muster normalerweise zuerst in der ›näheren Peripherie‹, d.h. in Italien übernommen. Von dort wurden die byzantinischen Ideen in ihren ›lokalen‹ Neuinterpretationen in die fernere ›weite Peripherie‹ über die Alpen hinüber vermittelt.

Der vorgeschlagene ›Zentrum-Peripherie Ansatz‹ eröffnet einen Weg für breit angelegte komparatistische Forschungen zur Machtsymbolik in ganz Europas und im Nahen Osten und ermöglicht zugleich die Nachteile der bisher vorherrschenden engen ›regionalen‹ Fragestellungen zu überwinden.

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Horst Wenzel:
Repräsentation und Kinästhetik –
Zur Inszenierung höfisch-ritterlicher Imagination im ›Welschen Gast‹ des Thomasins von Zerclaere

Thomasin von Zerclaere hat seinen ›Welschen Gast‹ 1215/16 im Umkreis des Patriarchen Wolfger von Aquileja als höfische Welt- und Lebenslehre aufgeschrieben. Ziel dieses Beitrags ist es, die Wertvorstellungen Thomasins und den Modus ihrer Vermittlung nicht allein aus den Texten, sondern aus dem Spannungsverhältnis von Text und Bild zu rekonstruieren, die eng aufeinander bezogen sind. Vieles deutet darauf hin, daß der ›Bilderzyklus‹ vom Autor selbst oder von seinem ersten Redaktor stammt. Die These lautet: Das Prinzip des Lernens durch Teilhabe und Nachahmung, das Thomasin für die höfische Jugend fordert, wird übertragen in die Interaktion mit Text und Bild.

Die Zeitlichkeit der Bilder bringt auch den Betrachter in Bewegung, verlangt eine kinästhetische Wahrnehmung und ermöglicht die mentale Einübung in ritterlich-höfisches Verhalten durch Identifikation und Abgrenzung. Dabei spielt der Gegensatz von öffentlich-repräsentativem und nichtöffentlichem Handeln, von äußerer und innerer Haltung, allegorischen und nichtallegorischen Personen eine zentrale Rolle. Alle diese Charakteristika sprechen für die Anschließbarkeit an das christliche Imaginationstheater, das den Schauraum der Wahrnehmung von den äußeren Augen in die Seele verlegt und dem inneren Auge überantwortet. Intendiert ist eine Modellierung inneren und äußeren Verhaltens für pfaffen, rîter und vrouwen am Vorbild des ›Welschen Gastes‹, der seinem Hörer oder Leser in Worten und Bildern gegenübertritt.

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Christel Meier:
Prügel und Performanz –
Ästhetik und Funktion der Gewalt im Theater des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit

Im Theater des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit ist das Thema der physischen Gewalt unter den dramatischen Konfliktaktionen im Spiel prominent. Zugleich steht es in einer seit der Antike geführten Diskussion über Grausamkeit auf der Bühne. Da Theater zugleich Spiegel und Reflexionsmedium gesellschaftlicher Handlungsprozesse und Werteordnungen ist, wird Gewaltausübung und Schmerz nach den verschiedenen Dramentypen der Zeit differenziert, d.h. situations- und funktionsbezogen dargestellt.

Der Gewalt-Diskurs im Drama der Übergangszeit umfaßt heilsrelevante Passions- und Martyriums-memoria sowie Vergegenwärtigung von Höllenstrafen im Passions-, Weltgerichts- und Märtyrerspiel, komische und karnevaleske Prügeleien in der Komödie und im Fastnachtsspiel, Gewalt in Schule und Universität im pädagogisch-satirischen Drama, den Agon der Werte-Allegorien selbst im höfischen Repräsentationsspiel und den bloßen hinterhältigen Mord im kritisch-moralisierenden Drama. Es liegt nahe, vergleichende Reflexionen zum Thema der Gewalt im modernen Theater seit Artauds ›Theater der Grausamkeit‹ anzustellen.

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Volker Honemann:
Das Schachspiel in der deutschen Literatur des Mittelalters –
Zur Funktion des Schachmotivs und der Schachmetaphorik

Der Beitrag untersucht Bedeutung und Funktion des Schachmotivs und der Schachmetaphorik in der deutschen Literatur des Mittelalters. Dabei geht er einleitend auf die großen Schachtraktate (Übersetzungen des lateinischen Schachbuches des Jacobus de Cessolis) und den Schach-Wortschatz ein. Im Anschluß daran werden in zeitlicher Abfolge wichtige Funktionen in der mittelalterlichen deutschen Literatur dargestellt: Schachspielen im Kontext einer politischen Auseinandersetzung, Schachspielen als Mittel der Demonstration höfischer Lebensweise, Schachspielen als Minnemetapher, das Schachspiel als Gesellschaftsmodell (Gleichheit und Hierarchie), Schach und Tod; Niederlage im Schachspiel als Todesmetapher.

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Sybille Ebert-Schifferer:
Virtus romana als Stilfrage in einem römischen Freskenzyklus der Renaissance

Mit der sog. Statuenstiftung Sixtus' IV. erhielten die im Konservatorenpalast auf dem Kapitol residierenden gewählten Verteter der römischen Stadtregierung antike Statuen bzw. deren Fragmente, die dank ihrer bis dahin bestehenden jahrhundertelangen Aufstellung im päpstlichen Rechtsbezirk des Lateran Herrschafts- und Rechtssymbole waren. Diese wurde in den Folgejahren mit weiteren antiken Spolien und Inschriften zu einer öffentlichen Aufstellung unter dem Portikus kombiniert, welche die antik-republikanische Funktion des Kapitols als Ort rechtsverbindlicher Gesetzespublikation und als Sitz einer souveränen Verwaltung imitierte.

Im Hinblick auf das Heilige Jahr 1500 wurde im Inneren überdies ein alle Repräsentationsräume umfassender Freskenzyklus in Auftrag gegeben, der Tugenden und Staatsräson der Römischen Republik darstellte. Hierfür wurde mit Jacopo Ripanda ein Künstler gewonnen, der aufgrund seines genauen Studiums der Trajanssäulenreliefs einen all'antica-Stil in der Malerei gleichsam zu rekonstruieren versuchte. Die Episoden der römischen Geschichte im Inneren behaupteten somit bewußt denselben legitimatorischen Authentizitätsgrad wie die Antiken unter dem Portikus des Palastes.

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Joachim Poeschke:
Virtù Fiorentina –
Cosimo de' Medici als erster Bürger von Florenz

Im persönlichen Auftreten von demonstrativer Bescheidenheit, trat der ältere Cosimo de' Medici (1389–1464) nach seiner Rückkehr aus dem venezianischen Exil (1435) durch eine großzügige Förderung von Neubauten in Florenz hervor, die alle Maßstäbe bürgerlichen Stiftungsverhaltens, wie sie bis dahin gegolten hatten, sprengte und symbolisch den faktischen Principat des Medici in der Florentiner Republik vor Augen führte, wobei nicht nur das Ausmaß der Bautätigkeit, sondern auch der neue, von antiker Proportionalität und moderner Rationalität geprägte Stil dieser Neubauten Aufsehen erregte.

Obwohl diese Bautätigkeit sich zunächst ausschließlich auf die Förderung von Kirchen- und Klosterbauten beschränkte und damit zunächst den Charakter frommer Stiftungen hatte, erregte sie – ihres Symbolgehaltes wegen – offenkundig Bedenken bei den Zeitgenossen, so daß sie der Rechtfertigung gegenüber Kritikern, die darin lediglich eine Selbstverherrlichung der Familie sahen, bedurfte. Ihre theoretische Grundlage bezog diese Rechtfertigung aus der kurz zuvor in Florenz zu neuer Aktualität gelangten aristotelischen Ethik, wie in dem Beitrag im einzelnen ausgeführt wird.

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Gosbert Schüßler:
›Die Tugend auf dem Felsenberg‹ –
Eine Komposition Pinturicchios für das Paviment des Domes von Siena

Die weltberühmten Fußbodenbilder des Domes von Siena stehen in einer langen, in der Kunst der Antike wurzelnden Tradition figuraler Dekoration christlicher Sakralbauten. Zu den anspruchsvollen Themen, die seit dem späten Trecento zur Ausführung kamen, zählt auch eine großformatige Allegorie im Mittelschiff der Kathedrale, für deren Entwurf der umbrische Maler Bernardino Pinturicchio 1505/6 Zahlungen erhielt. Trotz zeitgenössischer Benennung der Komposition als »storia dela Fortuna«, womit einengend eine ihrer beiden Hauptfiguren fokussiert wurde, fehlt bis heute vor allem eine begründete Identifikation der zweiten, ungleich wichtigeren Protagonistin, einer jungen Frau, die auf dem Plateau eines vom Meer umschlossenen Felsenberges thront.

Wie erstmals detailliert nachgewiesen, handelt es sich bei dieser auf einem Quader sitzenden Figur um die personifizierte Tugend. Mit Bedacht wurden ihr zwei antike Philosophen zugeordnet: Sokrates, der »Erfinder der Ethik«, und der Kyniker Krates, der seine Reichtümer ins Meer wirft. Dem Wesen der Tugend korrespondiert auch der felsige Berg, zentrales Motiv der Darstellung, den eine Gruppe von zehn Männern in betonter Abkehr von der lasziv-lockenden Fortuna zu besteigen unternimmt. Pinturicchios Entwurf entpuppt sich insgesamt als höchst originelle Verbildlichung ethischer Topoi. Das ohne Rückgriff auf Versatzstücke christlicher Ikonographie und biblisch-theologischer Literatur argumentierende Denkbild, das durch die für einen Kirchenraum der Zeit gewagte, monumentale Aktfigur der Glücksgöttin frappiert, erweist sich als ein herausragendes Zeugnis des sienesischen Humanismus.

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Barbara Stollberg-Rilinger:
Knien vor Gott – Knien vor dem Kaiser –
Zum Ritualwandel im Konfessionskonflikt

Karl V. zwang nach seinem Sieg im Schmalkaldischen Krieg alle unterlegenen protestantischen Fürsten, Grafen und Städte zu rituellen Unterwerfungsakten. Diese spektakuläre Serie von kniefälligen Abbitten stand ganz in der mittelalterlichen Tradition der deditio. Die Protestanten, die sich auf diese Weise demonstrativ der universalen, politisch-religösen Autorität des Kaisers unterwerfen mußten, sahen sich damit vor ein grundsätzliches Gewissensproblem gestellt: Die äußere Gehorsamsgeste gegenber dem Kaiser stand zur Gehorsamspflicht gegenüber Gott in Gegensatz; das Ritual erschien als Idolatrie.

Der Beitrag fragt nach den Folgen dieser Erfahrung für das zeitgenössische Ritualverständnis und ordnet sie in den Diskurs über das Verhältnis zwischen Geist und Gebärde im allgemeinen und die Erlaubtheit der äußeren dissimulatio im besonderen ein – ein Diskurs, der sich durch die konfessionelle Spaltung in neuer Weise zugespitzt hatte und ein verschärftes Mißtrauen gegenüber Ritualen schlechthin artikulierte.

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Stefan Haas:
Die kommunikative und performative Generierung von Sinn in Initiationsritualen der Frühen Neuzeit am Beispiel der Eheschließungen

Eheschließungen sind in der Europäischen Frühen Neuzeit die zentralen Übergangsrituale. Durch sie wurde die soziale und persönliche Identität des Einzelnen oder der Einzelnen neu definiert, und gleichzeitig die Gesellschaft rekonstituiert. Wesentliche Elemente dieser komplexen Ritualkette veränderten sich im Verlauf der Frühen Neuzeit: U.a. wurde die Rolle des Initianten und der Initiantin stärker, die mystisch aufgeladene Zusammengebung wurde in die Kirche hinein verlegt, mithin wandelte sich die Raumsymbolik und der Priester wurde ihr Akteur, der Ritus wurde um den Wert Reinheit neu gruppiert und entsexualisiert. Die bisherige Forschung interpretiert diese Wandlung vor dem Hintergrund der Theoreme Verkirchlichung und Sozialdisziplinierung als strukturelle Prozesse. Der ritualhistorische Zugang erlaubt, dies zu relativieren und die eigenmächtige, mithin autopoietische und emergente Wirkung von Ritualen herauszustellen. In der frühen Neuzeit geschah dies dadurch, dass die Rituale komplexe Kommunikationssituationen waren, deren Medien im wesentlichen als Performanzen aufgeführte Sprech- und Körperhandlungen waren. In der Aufführung sozial normierter Vorgaben entstanden durch den sinngenerierenden Eigenwert dieser Medien Reibungsverluste des vorgegeben Sinns, die durch individuelle Intentionen oder durch zufällige autopoietische Bedeutungszuschreibungen aufgefüllt werden konnten. In dieser emergenten Wirkung von Ritualen ist letztlich ihre entscheidende Bedeutung für historische Entwicklung zu sehen.

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Johannes Paulmann:
›Popularität‹ und ›Propaganda‹ –
Vom Überleben symbolischer Kommunikationsformen in der europäischen Politik des frühen 19. Jahrhunderts

Der Übergang von der Frühen Neuzeit in die Welt des 19. und 20. Jahrhunderts verlief als vielschichtiger Prozess. Vor dem Hintergrund der Transformation von politisch-sozialen Ordnungen werden in diesem Aufsatz symbolische Kommunikationsformen in den internationalen Beziehungen im Anschluss an die napoleonischen Kriege untersucht. Die maßgeblichen Akteure pflegten nicht nur eine textbasierte Rationalität, sondern suchten sich auch über Zeichen und Rituale ihrer Relationen zu vergewissern. Bestimmte Traditionen höfischer Kommunikation überlebten die Umbruchszeit bis 1848/49 und wurden dabei gleichzeitig verwandelt. Offensichtlich hing dies mit dem Überleben der Monarchie, ihren Institutionen und Trägerschichten zusammen. Allerdings veränderten sich sowohl die Legitimation von Herrschaft als auch das Staatensystem grundlegend. Die Untersuchung des symbolischen Handelns erlaubt schließlich, einige Schlaglichter auf das Verhältnis von Inszenierung, Bild und Text zu werfen, ohne Schriftlichkeit und Ritual vereinfachend einander gegenüberzustellen. Denn tatsächlich war die Suche der Könige und Königinnen nach persönlicher ›Popularität‹ eng an die publizistische Ausprägung von ›Propaganda‹ gebunden.

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Hans-Ulrich Thamer:
Die Wiederkehr des Gleichen oder das Verblassen der Tradition? –
Funktionswandel politischer Rituale im Übergang zur Moderne

Haben die auf eine rituelle Verhaltenssteuerung gerichteten Symbole der Vormoderne ihre Bedeutung für die Moderne mit ihrem verstärkten Bedarf an rationalen Verhaltens- und Diskursformen verloren? Die Französische Revolution jedenfalls stellt die Notwendigkeit und die Macht der Symbole unter Beweis. Sie verdeutlicht aber auch den Funktionswandel und den Verlust an Verbindlichkeit, den politische Rituale in einer Epoche raschen Wandels erfahren. An drei Fallbeispielen aus der politischen Symbolwelt der Französischen Revolution wird die historische Varianz in der Invarianz eines begrenzten Arsenals ritueller Aktionsformen behandelt. Die Untersuchung der Eröffnungsrituale der Nationalversammlung beschreibt Ritualkämpfe als Ausdruck von politischen Machtkämpfen; das Beispiel der Wahlen demonstriert das Spannungsverhältnis zwischen neuen Institutionen und der Persistenz traditioneller ritueller Handlungsmuster; die kurze Geschichte der politischen Bankette erzählt vom Bedeutungswandel überkommener gemeinschaftsstiftender Rituale als Reflex politischer Veränderung.

Auch die Politik der Französischen Revolution war auf Verdeutlichung und Sichtbarmachung angewiesen, wenn sie sich eine dauerhafte Legitimation sichern wollte. Freilich kam es zu einem raschen Verlust an Verbindlichkeit als Folge der Politisierung und Pluralisierung der politischen Deutungsangebote, die sich im Zeitalter der Revolution entfalteten und seither die Moderne bestimmen.

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Rezensionen:

» [...] Beiträge von hoher Qualität«

Peter Burschel: Zeitschrift für historische Forschung 35, Heft 3 (2008), S. 485f.

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Westfälische Forschungen. Zeitschrift des westfälischen Instituts für Regionalgeschichte des Landschaftsverbandes Westfalen–Lippe 2008.

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